2009
Unterwegs in unserer Stadt: Die St. Marienkirche in Dortmund

Ein künstlerisch-wissenschaftliches Modell-Projekt und Ausstellung zu Architektur, Raumerfahrung und Kartografie in einem 2. Schuljahr, Fotodokumentation Michael Ostermann, publiziert in Barbara Welzel (Hg) „Weltwissen Kunstgeschichte“, Dortmunder Schriften zur Kunstdidaktik Bd. 10, Norderstedt 2009. Ausstellung in der Marienkirche Dortmund im Januar 2009, Ausstellungskonzeption und Realisation: Rosa Fehr und Michael Ostermann

Architektur, Kartografie und Raumerfahrung sind in der Grundschule vor allem Themen des Sachunterrichts im dritten und vierten Schuljahr. Im Sinne eines ganzheitlichen Ansatzes, der an das Weltwissen der Siebenjährigen anknüpft, mache ich seit den 80er Jahren die unmittelbare Umwelt von Kindern und Jugendlichen, vor allem aber den städtischen Raum zum Thema und Ausgangspunkt für Bildfindungen in der ästhetischen Erziehung. (1)
Diese bietet mit ihren sowohl praktisch-künstlerischen als auch kunstwissenschaftlich-kunsthistorischen Bezugsdisziplinen vielfältige sinnliche und kognitive Erkenntnismöglichkeiten, den städtischen Raum, verstanden nicht nur als gebaute Umwelt, sondern auch als soziales Gefüge, in seiner Historizität und Veränderbarkeit zu begreifen und zu reflektieren. Neuere Ansätze der Kunstdidaktik, wie z.B. das Mapping (2) bieten insbesondere methodische Vorgehensweisen an, die sich m. E. sowohl auf die Erfassung und Kartografierung von gegenwärtigen als auch historischen Räumen eignen.

„Unterwegs in unserer Stadt “ ist Programm vielfältiger Aktivitäten im Kunstunterricht eines zweiten Schuljahres. Nach der Erforschung der näheren Umgebung der Schule, dem Kreuzviertel mit seiner architektonischen Vielfalt, regte ein Besuch der Marienkirche im Rahmen der KinderUni des kunsthistorischen Instituts der TU Dormund die Erweiterung der Raumerfahrung auf den Bereich der Innenstadt und den historischen Ort der Marienkirche an.

Ergebnisse
Raumerfahrung vollzieht sich immer in der Bewegung.(3) Vorstellungen vom und Orientierung im städtischen Raum wurden durch Spaziergänge und kartografisch-zeichnerische Dokumentationen erweitert. Die Historizität und Veränderbarkeit des städtischen Raums wurde über den historischen Baukörper der Marienkirche als (wiederaufgebautes) Relikt des Mittelalters erfahren und Architektur als abhängig von Vorstellungen und Möglichkeiten der Zeit, vom historischen Kontext, erkannt. Ein Kirchengebäude wurde in der Doppelcodierung (Welzel) sowohl als historischer Ort als auch als Hort von Kunstschätzen wahrgenommen. Dies eröffnet auch Kindern nichtchristlich kulturellen Hintergrunds den Zugang. Kunstgegenstände und Architektur waren nicht über Medien vermittelt, sondern Teil der Realität, der realen Anschauung in der Gegenwart. „Sehen-Lernen“ vollzog sich an bedeutenden Kunstgegenständen der damaligen Zeit. Kulturtechniken wie Lesen und Schreiben konnten an anspruchsvollen Inhalten vermittelt werden. Insbesondere die zeichnerische Auseinandersetzung bot spezielle Erkenntnismöglichkeiten, da sie mit Anstrengung verbunden, ein mehrfaches Hinsehen erfordert, und die Gleichzeitigkeit sinnlicher, mit dem Körper verbundener Tätigkeiten, und reflexiver denkender Erkenntnisformen verbindet. Im Arbeitsschritt 2 wurde das Zusammenlegen des Kirchengrundrisses und des fiktiven Kirchen-Raums in der Schule nach einem halben Jahr wiederholt. Auffallend war, dass die Kinder scheinbar an die Aufgabe noch einmal völlig neu herangehen mussten. Erst die Anbindung an körperbezogene Methoden (vgl. Foto „Kind mit ausgebreiteten Armen auf dem Boden“ als Modell für den Kirchengrundriss) schaffte Verbindung zu dem abstrakten Grundriss, bzw. zur Form des Kirchenraumes. Lerntheoretisch gesehen intensiviert das zirkuläre „Nocheinmal Hinsehen“ gemachte Raumerfahrung und verankert diese im Langzeitgedächtnis.

(1) Vgl. Rosa Fehr, Schloss Benrath, 2. Staatsarbeit am Bezirksseminar Düsseldorf 1980 und ds.,“WETTBEWERB BILDENDE KUNST“, Die Farbe Rot in Dortmund, Dortmund 2000
(2) Klaus-Peter Busse, Vom Bild zum Ort: Mapping lernen, Dortmund 2007
(3) Karl Schlögel, Im Raume lesen wir die Zeit. Über Zivilisation und Geopolitik, München 2003

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 Foto: Michael Ostermann     
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 Foto: Michael Ostermann     
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 Schülerzeichnung 2. Klasse     
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 Schülerzeichnung 2. Klasse     
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 Foto: Rosa Fehr     
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 Foto: Rosa Fehr     
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 Foto: Rosa Fehr     
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 Foto: Michael Ostermann     
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 Foto: Michael Ostermann     
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 Foto: Michael Ostermann     
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 Foto: Michael Ostermann     
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 Foto: Michael Ostermann     
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 Zeichnung Joshua Hagenow Kl.2