Zur Geschichte und Entstehung der griechischen Musikgruppe
„Orfeas & Rosa“ und des „Kafé Amán“ in Dortmund

Text: Rosa Fehr-von Ilten (Mai 2015)

Die Gründung der griechischen Musikgruppe „Orfeas & Rosa“ im Jahr 1976 geht auf Georgios Avgeris, damals griechischer Student der Sozialpädagogik in Dortmund, zurück. Er leistete gerade ein Praktikum im Fritz-Henßler-Haus und in der neu eingerichteten griechischen Beratungsstelle im Hannibal an der Bornstraße ab und musste erfahren, dass bei der städtischen Planung und Programmgestaltung der Auslandskulturtage mit Griechenland die in Dortmund ansässigen griechischen „Gastarbeiter“ und ihre Familien nicht einbezogen wurden. Er beteiligte sich an einer Initiative des Jugendrings, der Beratungsstelle unter Sotiris Kolokythas und griechischer Mitbürger, die die so genannten griechischen „Gegenkulturtage“ mit vielfältigen Aktivitäten organisierten. u.a. gab es eine Fotoausstellung, in der die Lebenssituation der in Dortmund lebenden Griechen dokumentiert wurde und ein buntes Kulturprogramm. In diesem Zusammenhang trat die Gruppe „Orpheus und Rosa" im Mai 1976 im Westfalenpark das erste Mal mit Liedern von Mikis Theodorakis und Manos Hadjidakis auf. Die ursprüngliche Besetzung war:

Rosa Fehr (geb. Mayer-Wegelin) - Gesang
Kostas Mitsalos - Bouzouki
Jorgos Avgeris – Gitarre
Nikos Mitsalos – Bass

Konzerte, u.a. im ehemaligen Szenelokal „Bunker“, moderiert von Armin Kerker, folgten, und nachdem die Konzertagentur des Pläne-Verlages die Vertretung übernahm, wurde die Gruppe „Orfeas & Rosa“ eine der bekanntesten griechischen Folkloregruppen in Deutschland. Schon bald veränderte sich die Gruppe personell – Jannis Mitsalos stieß als Sänger und Baglamaspieler und der in der englischen Armee in Dortmund stationierte Schotte Victor Kotolinski als vielseitiger Musiker und virtuoser Bouzoukispieler zur Gruppe dazu. Auch der kleine Bruder der Mitsalos-Geschwister, Stavros, damals 14 Jahre alt, begann in der Gruppe seine musikalische Karriere. Die Gruppe gab in wechselnden Besetzungen, auch zusammen mit Gastmusikern, bis in die 1980er Jahre hinein unzählige Konzerte, trat auf Feten, Festivals, in Kneipen und Kulturzentren auf, u.a. auch in der Nibelungenhalle in Hannover, der Meistersingerhalle in Nürnberg und dem Messe- und Kongresszentrum in Hamburg. Rundfunk- und Fernsehauftritte folgten.

Inhaltlich und musikalisch entwickelte sich die Gruppe weg von der politisch motivierten Musik eines Mikis Theodarakis hin zur griechischen Volksmusik und den Rebetika. Diese entstanden in den 1920er Jahren u.a. in den Slums von Piräus, wo die Musik der Exilgriechen aus Kleinasien sich mit den Liedern der kleinen Ganoven und Hehler vermischte und sich zu einer eigenen Musikgattung entwickelte, die neben der griechischen „Folklore“, der tanzbaren Volksmusik aus den verschiedenen Regionen Griechenlands, immer noch lebendig ist.

„Orfeas & Rosa“ in ihrer griechisch-deutsch-schottischen Zusammensetzung, verstanden sich immer auch als politische Gruppe, die sich für die Integration der griechischen Migranten unter Erhalt ihrer kulturellen Identität einsetzte. In den Rebetika schien das Modell für die kulturelle Integration schon vorhanden zu sein (Vgl. Rosa Mayer-Wegelin: Musik im Migrationsprozess: Beispiel Rebetika, in: Michael Fehr, Hrsg: Kultur im Migrationsprozess, Berlin 1982, S. 59 ff)

Durch Auftritte bei „Kemnade International“ des Museum Bochum, einem von Michael Fehr konzipierten und organisierten Festival für die Kultur der Arbeitsemigranten, entstand ein reger 'Kultur-Austausch' zwischen Georgios Avgeris, Rosa Fehr-von Ilten und Michael Fehr.

Und so lag es nahe, die Ziele der Musikgruppe „Orfeas & Rosa“ und des Festivals „Kemnade international" in einem neuen Projekt zu verbinden. Deshalb entwickelten Georgios Avgeris, Rosa und Michael Fehr gemeinsam das Konzept zu einem 'Kafé Aman' in Deutschland. Sie gingen davon aus, dass Kultur nur dann eine Chance hat, gesellschaftliche Bedeutung zu gewinnen, wenn sie sich autonom entwickeln kann. Wie in den historischen Kafés Amán in den 1920er Jahren in Griechenland, Familienlokalen, in denen sich die Kultur der Rebetes und der sogenannten „kleinasiatischen Flüchtlinge“ vermischten, sollte mit dem Kafé Amán in Dortmund ein Ort geschaffen werden, an dem sich die Kulturen der Migranten und der Deutschen gleichberechtigt begegnen konnten.
Quasi als Modellprojekt stellten sie 1981 während des Festivals eine Bretterbude mit Ausschank und Bühne auf die Wiese neben dem Haus Kemnade in Bochum. Das Konzept schien aufzugehen.

Auf der Suche nach geeigneten Räumen in Dortmund stießen sie auf das ehemalige CEAG-Gebäude an der Münsterstr. 231. Hier hatte sich 1982 nach der Auflassung der Concordia-Elektrizitäts-AG (Herstellung von Grubenlampen) schon eine rege alternative Szene etabliert. Neben Proberäumen für Musiker im Hauptgebäude wurden die Nebengebäude von Künstlern als Ateliers und Kleingewerbetreibenden als Werk-, Produktions- und Lagerstätten genutzt. Sogar ein kleiner Zirkus überwinterte mit seinen Tieren auf dem Hof. Hier schienen ideale Bedingungen für die Realisierung des Projektes gefunden.

Allerdings war es ein schwieriges Unterfangen, die erforderliche Nutzungsänderung für die Räume zu erhalten und es dauerte Monate bis Unverständnis, mangelnde Vorstellungskraft und Widerstände der städtischen Ämter überwunden waren. Erst der Hinweis auf „Das sündige Dortmund“ und die Varieté- und Gastronomieszene in der Münsterstraße und dem Fredenbaumpark in den 1920er Jahren, konnte die Ordnungshüter schließlich überzeugen. Insbesondere die hohen Auflagen in Bezug auf die Sanitäranlagen und die Kücheneinrichtung und der Einbau einer Heizung machten das Ganze zu einem - vor allem auch finanziellen - Abenteuer.

Nach umfänglichen in Eigenarbeit durchgeführten Renovierungsarbeiten, wurde das Großraumbüro mit abgehängter Decke und Teppichboden wieder in seinen ursprünglichen Zustand einer Produktionshalle zurückversetzt. Es entstand ein lichter großer Raum mit Theke, Bar, Bühne und Tanzfläche, der, sparsam möbliert und hell beleuchtet, einen mediterranen Charme entfaltete. Heute würde man wohl von „Loft“ sprechen.

In der zweiten Etage des Hauptgebäudes der CEAG wurde am 17.9.1983 das „Kafé Aman“ in Dortmund eröffnet: Ein Veranstaltungslokal mit griechischer, türkischer und internationaler Livemusik und ein Restaurant mit mediterranen Spezialitäten, später sollte eine Galerie mit Ausstellungsmöglichkeiten für bildende Künstler folgen. Ein weiterer Schritt sollte sodann die Realisierung eines „Museum für die Geschichte und Kultur der Arbeitsemigranten“ sein. Am Umbau und Betrieb des Kafé Aman hatte Georios Avgeris spätere Frau Sibylle einen wesentlichen Anteil.

Zu Anfang schien das Konzept aufzugehen. Es gab legendäre Abende, in denen die Gäste bis zum frühen Morgen blieben und nachdem die Musik nicht mehr spielte, zum Schluss selbst sangen. Es gab Kommentare, dass der Salat so gut sei wie aus dem eigenen Dorf. Der türkische Musiker Hüsnü Isik aus Bochum spielte regelmäßig im Kafé Amán, im CEAG probende Musikgruppen aus der Punk-Rock- und Jazzszene traten auf und es gab Gastkonzerte von Musikern aus der Türkei und Griechenland. Stavros Mitsalos, Bouzoukzist der Gruppe „Orfeas & Rosa“, gelang es, einige griechische Studenten als Musiker aufzubauen und zu einer Band (Bouzoukomania) zu formen, die in der Lage war, die ganze Nacht durchzuspielen und auch bekannte griechische Sänger, die teilweise als Gäste auftraten, zu begleiten. (Sie nannten sich später auch „Orfeas“). Kape Sachau stieß zum Orgateam und gestaltete originelle Einladungs- und Speisekarten. In der Küche betätigte sich kreativ u.a. Manfred Tari.

Doch die Umstände waren widrig.
Ein eiskalter Winter mit bleibenden Temperaturen von Minus 20 Grad ließ 1984 die von außen mit einem Gastank betriebenen Heizungen platzen. Das Dietrich-Keuning-Haus eröffnete seine Pforten und grub als hochsubventioniertes kommunales Kulturzentrum in der Nordstadt mit Dumpingpreisen dem selbstorganisierten und deshalb teureren Unternehmen „Kafé Amán“ finanziell das Wasser ab. Die griechische Gemeinde in Dortmund schrumpfte von 6000 auf 2000 Mitglieder: Viele Griechen nutzten die aktuellen Gesetzesänderungen, machten von der Rückkehrprämie und der Möglichkeit, auch in Griechenland die deutsche Rente beziehen zu können, Gebrauch und gingen nach Griechenland zurück. Alle griechischen Musiklokale in Dortmund schlossen fast gleichzeitig.

Unterschiedliche Mentalitäten in der Ausgehkultur von Griechen und Deutschen waren ein weiteres Problem. Während die Deutschen lieber Eintritt zahlen wollten, wenn nur die Getränke billig waren, wollten die Griechen lieber teurere Getränke bei freiem Eintritt und, und, und...
Alles in allem: Es rechnete sich nicht. Das Kafé Amán als selbstständiges Unternehmen musste aufgegeben werden. Die Zeit war noch nicht reif und Dortmund wahrscheinlich nicht der richtige Ort für ein solches Projekt.

Das Kafé Amán wurde an die griechischen Musiker und Kellner vermietet, die es als ausschließlich griechisches Musiklokal betrieben. Doch schon bald wurde auch ihnen klar, dass das große Geld mit dem Laden nicht zu machen war und sie gaben auf.

Eine Zeit lang vermieteten wir den Raum für türkische Hochzeiten und ghanaische Feten, zum Schluss an einen jugoslawischen Gastwirt, der dort ein Restaurant betrieb.

Später wurde aus der Küche des Kafé Aman ein türkischer Gebetsraum (mit blau bemalten weißen Kacheln), bis die Stadt aus dem denkmalgeschützten Hauptgebäude der CEAG ein Mietshaus machte und rundherum alle Gebäude abgerissen wurden.

Und was ist aus den Musikern von Orfeas & Rosa geworden?

Georgios Avgeris übersiedelte mit seiner Frau Sybille 1984 nach Athen. Er arbeitete als Deutschlehrer in einer Sprachschule und ist inzwischen verstorben.

Kostas Mitsalos lebt in Frankfurt und arbeitet bei einer Bank.

Nikos und Jannis Mitsalos leben mit ihren Familien wieder in Nordgriechenland und arbeiten als Ingenieure. Jannis hat einen privaten kleinen Radiosender aufgebaut.

Stavros Mitsalos studierte nach dem Abitur einige Semester Musikwissenschaften in Bochum, folgte seinen Brüdern ein paar Jahre später in sein Heimatdorf und lebt dort als professioneller Musiker.

Victor Kotolinski ist nach dem Abzug der British Army aus Dortmund nach Schottland zurückgekehrt.

Rosa Fehr-von Ilten lebt als Künstlerin in Dortmund.

Verfasserin: Rosa Fehr (copyright)
(Stand April 2020)

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Seit einiger Zeit gibt es in Amsterdam ein "Kafé Amán". Die aktuellen Videos auf YouTube geben ein wenig die Stimmung im Kafé Amán in Dortmund wieder.
Kafé Amán Amsterdam 2014

Ebenfalls sehr spannend ist das 2009 gegründete "Kafé Amán" in Istanbul, eine Rekonstruktion der in der osmanischen Kultur verankerten Kafés Amán. Hier spielen türkische und griechische Musiker in einem Orchester zusammen Rebetika im smyrnäischen Stil.
Café Aman Istanbul


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 1.Mai 1976 Westfalenpark DO     
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 WAZ Juni 1976     
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 WAZ August 1976     
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 WAZ September 1976     
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 Orfeas & Rosa 1981 (Foto:Beifuß/B0)     
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 in: M. Fehr (Hrsg.), Berlin 1982     
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 Orfeas & Rosa 1982      
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 Kafé Amán 1983 Münsterstr./Dortmund     
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 Die Bar im Kafé Amán     
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 Gestaltung: Kape Sachau S.1,4     
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 S.2,3     
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 von Georgios Avgeris     
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 Gestaltung: Kape Sachau     
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 Gestaltung: Kape Sachau     
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 15.8.2015